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09.02.24

Sor vs. Tárrega



Gitarrenvirtuosen des 19. JH.: Sor und Tárrega im Vergleich
In diesem Artikel beschäftige ich mich mit zwei herausragenden Gitarristen und Komponisten, Fernando Sor und Francisco Tárrega, die einen entscheidenden Einfluss auf die klassische Gitarrenmusik und -technik hatten. Sor verlieh der Gitarre erstmals eine Position, die sie zu einem gleichwertigen Mitglied eines Orchesters machte, dank seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten. Er entwickelte eine anspruchsvolle Gitarrenmusik, die in seiner Zeit nicht von jedem Gitarristen beherrscht werden konnte.
Tárrega baute auf den Errungenschaften Sors auf und trieb seine Überlegungen bis zur Perfektion voran. Durch ihn entstand nicht nur die moderne Spieltechnik, sondern auch die Verbreitung der heutigen Konzertgitarre. Viele Stücke von Sor und Tárrega gehören heute zum Standard-Repertoire eines jeden ernsthaften (klassischen) Gitarristen, darunter beispielsweise "Lágrima".
Obwohl beide Künstler im 19. Jahrhundert aktiv waren, hatten sie unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Gitarre gespielt und gehalten werden sollte. In diesem Artikel werden vor allem die technischen, aber auch die musikalischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorgehoben, um ihre Musik richtig zu verstehen und zu interpretieren.
Zunächst wird kurz auf das Leben der beiden Musiker eingegangen, um einen Einblick in ihre Persönlichkeiten zu ermöglichen. Beim Vergleich erscheint es mir zunächst wichtig, den persönlichen Bezug zur Gitarre zu analysieren, da dieser bereits über die Art der Musik entscheidend sein kann. Anschließend wird die Spieltechnik beleuchtet, da sie für jeden ernsthaften Gitarrenspieler der Schlüssel zur Musik ist. Hierzu gehören insbesondere der Bau und die Haltung der Gitarre sowie die Spieltechniken der linken Greifhand und der rechten Zupfhand. Abschließend werde ich kurz auf die musikalischen Eigenheiten eingehen.

Fernando Sor:
Joseph Fernando Macari Sor wurde am 14. Februar 1778 in Barcelona geboren. Sein Vater, ein musikalischer Kaufmann, verbrachte seine Freizeit damit, die Gitarre als Begleitinstrument zu spielen. Schon in jungen Jahren zeigte Sor großes Interesse an der Musik. Er imitierte Opernsänger und nutzte eine Geige als Spielzeug. Bereits mit fünf Jahren begann er, Dreiklänge auf der Gitarre seines Vaters zu suchen, um sich selbst zu begleiten.
Obwohl Sors musikalisches Talent früh erkennbar war, unterstützte sein Vater dies nicht. Der Vater hatte bereits Pläne für seinen Sohn, einschließlich einer Karriere im Militär und im Verwaltungsbereich. Lateinische Vokabeln und Grammatik schienen ihm wichtiger als Melodien. Trotzdem setzte Fernando Sor seine Liebe zur Musik fort, indem er seine lateinische Grammatik in diatonische Melodien umwandelte und diese auf der Gitarre begleitete. Trotz anfänglichem Widerstand gab der Vater schließlich dem Drängen von Bekannten nach und schickte seinen Sohn zum Geigenunterricht. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1791 konnte Sor den Geigenunterricht jedoch nicht fortsetzen. Stattdessen erhielt er das Angebot, die kostenlose Klosterschule in Montserrat zu besuchen. Dort erhielt er eine umfassende musikalische Ausbildung von Pater Viola, die Solfeggio, Singen, Harmonielehre, Kontrapunkt, Komposition, Geige, Klavier- und Orgelspiel umfasste.
Im Jahr 1795 kehrte Sor nach Barcelona zurück, um vier Jahre lang die Kriegsschule zu besuchen. Aufgrund seines herausragenden Gitarrenspiels stieg er vorzeitig vom Unterleutnant zum Leutnant auf. Während dieser Zeit begann er erstmals, sich intensiv mit der Spieltechnik der Gitarre auseinanderzusetzen.
Im Jahr 1808 trat Sor dem Heer bei, musste jedoch 1813 aufgrund politischer Unruhen als "Franzosenfreund" nach Paris flüchten. 1815 ließ er sich schließlich in London nieder. Durch seinen Beitritt zur "Philharmonic Society" als erster Gitarrist erlangte Sor hohes Ansehen. Er komponierte verschiedene Opern und Ballette und unterrichtete Gesang und Gitarre. Seinen Ruhm erlangte er durch seine bedeutenden Werke für die Gitarre. Im Jahr 1823 schloss Sor seine zweite Ehe mit Felicite Virginie Hullin. Gemeinsam reisten sie nach Russland, wo sie als Balletttänzerin tätig war. Über seine erste Ehe und die daraus hervorgegangene Tochter ist wenig bekannt.
Um 1827 kehrte Sor wieder nach Paris zurück. Hier veröffentlichte er 1830 erstmals seine Gitarrenschule "Méthode pour la Guitare". Nach langem Leiden starb Sor schließlich am 10. Juli 1839 an Zungenkrebs.

Francisco Tárrega:
Am 29. November 1854 erblickte Francisco Tárrega in Villarreal (Spanien) das Licht der Welt. Er entstammte einer armen, musikalischen Familie. Sein Vater arbeitete als Wächter in Villarreal, und seine Mutter war Pförtnerin eines Klosters. Schon sehr früh litt Tárrega unter chronischem Augenleiden. Einige behaupten, er sei als Kind von einem boshaften Kindermädchen in einen verschmutzten Fluss gestoßen worden und wäre fast ertrunken. Aufgrund einer Augeninfektion, die er sich dabei zuzog, entwickelte sich eine chronische Augenentzündung. Andere wiederum sagen, dass Tárrega an einer Abnormalität der Augenwimpern gelitten habe. Weil diese nach innen wuchsen, wurden seine Augen ständig gereizt, was zu einer chronischen Bindehautentzündung führte. Deshalb waren in gewissen Abständen kleinere Operationen nötig. Wie dem auch sei, sicher ist, dass sein Sehvermögen eingeschränkt war. Möglicherweise lernte er auch aus diesem Grund von blinden Lehrern Gitarre und Klavier.
Als Kind arbeitete Tárrega in einer Seilfabrik. Später spielte er in Cafés und auf Straßen Gitarre, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Schließlich ließ er sich in Barcelona nieder und unterrichtete Schüler. Über sein Leben ist nicht viel bekannt, da er zurückgezogen lebte und am liebsten in seinem kleinen Freundeskreis agierte. Ein Jahr vor seinem Tod erlitt Tárrega einen schweren Schlaganfall, der ihn so sehr schwächte, dass er stark in seinen Tätigkeiten eingeschränkt wurde. Den Ruhm, der erst nach seinem Tod am 15. Dezember 1909 auflebte, erlebte Tárrega nicht mehr.

Lebensumstände und Bezug zur Gitarre:
Schon aus den Biografien geht hervor, dass Sor und Tárrega unter unterschiedlichen Lebensumständen lebten. Um sie und ihre Musik besser zu verstehen und vergleichen zu können, ist es zunächst wichtig, die sozialen Verhältnisse und ihren Bezug zur Musik, insbesondere zur Gitarre, zu betrachten.
Beide Gitarristen entstammten musikalischen Familien und zeigten früh Interesse an Musik.
Sor verwendete die Gitarre seines Vaters, um seine selbstkomponierten Melodien zu begleiten. Auch während seiner Militärdienstzeit erhielt er Anerkennung für seine Gitarrenfähigkeiten und wurde aufgrund seiner Fertigkeiten befördert. Trotzdem sträubte er sich zeitlebens dagegen, ausschließlich Gitarrist zu sein. Nach seinem ersten erfolgreichen Opernstück im Alter von 17 Jahren hegte er den Wunsch, Komponist zu werden. Die Gitarre half ihm, bekannt zu werden, aber sobald er Ansehen erlangte, widmete er sich anderen Bereichen wie der Opernmusik. Obwohl seine Gitarrenmusik bewundert wurde, stießen seine anderen Werke auf Ablehnung. Wenn ihm doch einmal ein Erfolg gelang, vernachlässigte er die Gitarre vollständig.
Bei Tárrega war die Situation anders. Wie er zur Gitarre fand und wer sein Lehrer war, bleibt bis heute unbekannt. Obwohl er mit seinen Klavierfertigkeiten eine vielversprechendere Karriere hätte einschlagen können als mit der Gitarre, liebte er dieses Instrument. Sein ganzes Leben widmete er der Perfektionierung der Gitarrenmusik und der Spieltechnik. Freizeit verbrachte er mit Übungen auf der Gitarre, um sein eigenes Spiel zu verbessern und neue Wege zu finden. Er spielte neue Stücke und transkribierte Werke alter Meister. Selbst beim Rauchen einer Zigarette spielte er mit der linken Hand weiter, als wäre es eine Leichtigkeit. Trotz seiner herausragenden Fähigkeiten lag ihm nicht viel an öffentlichem Erfolg. Er spielte lieber im kleinen Freundeskreis oder alleine als vor einem unbekannten Publikum. Anders als Sor unternahm er keine Konzertreisen. Er führte ein bescheidenes und anspruchsloses Leben in Ruhe. Daher war er zu Lebzeiten nur im engsten Kreis bekannt, im Gegensatz zu Sor, der durch Reisen in verschiedenen Ländern Anerkennung erlangte. Weder Tárrega noch Sor verfügten jedoch über große Reichtümer.
Fernando Sor veröffentlichte gegen Ende seines Lebens eine Gitarrenschule, die bis heute als Nachdruck existiert. In dieser versuchte er, all seine Überlegungen auch logisch zu begründen und durch ausführliche Skizzen zu verdeutlichen. Im Gegensatz dazu hinterließ Tárrega nicht viele schriftliche Aufzeichnungen. Seine Methoden, insbesondere die Spieltechnik, wurden von seinen Schülern dokumentiert und weiterverbreitet.

Spieltechnik und Instrument
Um die Spieltechnik dieser beiden Komponisten vergleichen zu können, ist es zunächst erforderlich, sich das von ihnen gespielte Instrument anzusehen. Schon hier lassen sich zahlreiche Unterschiede feststellen, die zwangsläufig unterschiedliche Spieltechniken seitens der Gitarristen erfordern.
Sor und Tárrega spielten Gitarren mit sechs Saiten in der heute üblichen Stimmung. Im Gegensatz zu Tárregas Gitarre war Sors Gitarre jedoch kleiner. Aufgrund des schmaleren Griffbretts und der kürzeren Mensur war sie einfacher zu spielen als unsere heutige Gitarre. Sor besaß ein Modell, das von Fernando Rada hergestellt wurde, das er sehr lobte und anderen Modellen gegenüber bevorzugte.
Tárrega spielte eine Gitarre, die damals von Antonio de Torres neu gestaltet wurde. Der Korpus der klassischen Gitarre wurde vergrößert, um mehr Klangvolumen zu erhalten. Dies führte zu einer Verlängerung der Mensur und einer Verbreiterung des Halses. Dieser Gitarrentyp dient als Grundlage für unsere heutige Konzertgitarre.

Gitarrenhaltung:
Aufgrund der unterschiedlichen Größen der Gitarren mussten die Instrumente von Sor und Tárrega anders gehalten werden, damit sie fest fixiert waren und die linke Hand die Gitarre nicht stützen musste. Sor war der Ansicht, dass die Mitte der Gitarre (also der XII. Bund) sich möglichst genau vor dem Körper befinden sollte. Deshalb entwickelte er zum Üben eine Gitarrenhaltung, bei der ein Tisch benötigt wurde. Der Spieler hatte ein Bein unter dem Tisch, und die Tischkante befand sich etwa vor der Mitte des Körpers. Die Gitarre wurde dann unter dem XIII. Bund mit der Zarge auf die Tischkante gelegt, und der untere Teil des Korpus wurde auf das etwas abgespreizte rechte Bein gestützt. So hatte die Gitarre einen festen Stand, und die linke Hand konnte frei über das Griffbrett wandern.
Bei einem Vortrag konnte er natürlich nicht an einem Tisch spielen. Hier legte er die Einbuchtung der Gitarre auf das rechte Bein und stützte den hinteren Teil des Korpus auf den Stuhl. Durch den rechten Arm wurde die Gitarre fixiert. Dazu war es nötig, die Gitarre etwas schräg nach hinten zu halten. Seine Haltung hatte den Vorteil, dass die rechte Hand direkt gegenüber den Saiten hing. Wenn er die Gitarre wie bei der französischen Haltung auf dem linken Bein hielt, war dies nicht der Fall.
Tárrega, dessen Gitarre etwas größer war, empfand jedoch genau diese Haltung als sinnvoll. Er entwickelte eine Technik, die auch heute noch jeder klassische Gitarrenspieler erlernt: Der linke Fuß wird auf einen Fußschemel gestellt, und die Ausbuchtung wird auf das erhöhte Bein gelegt. Damit die Gitarre nicht nach hinten wegkippt, wird sie durch das rechte Bein fixiert und vom rechten Arm in dieser Position gehalten. Um möglichst viel Kontakt mit der Gitarre zu haben, beugt man sich mit dem Oberkörper etwas nach vorne. Die rechte Hand befindet sich etwa vor dem Schallloch und fällt durch das eigene Gewicht locker nach unten, bis sie parallel zur Saitenlinie steht. Der Stuhl, auf dem man sitzt, darf keine Armlehne haben, noch sollte er zu hoch sein, damit beide Beine fest auf dem Boden und dem Fußhocker stehen.

Der Anschlag:
Auch der noch heute gebräuchliche Anschlag entstand durch Francisco Tárrega. Er setzte den Anschlagsort über dem Schallloch fest. Sor schlug gewöhnlich ziemlich nah am Steg an. Für unterschiedliche Effekte, zum Beispiel um den Ton zarter oder härter zu gestalten, wechselten aber beide Musiker den Ort und schlugen die Saiten weiter rechts oder links von der Ausgangsstellung an. Beim Anschlag baute Tárrega auf Sors Technik auf, denn „Sor war der erste, der mit freier rechter Hand spielte". Nur wenn er mit dem Daumen schnell über einen großen Abstand hinweg spielte, setzte er den kleinen Finger als Stütze auf, um sicher die richtige Saite zu treffen. Tárrega spielte ganz mit freier Hand. Durch Tárrega entstand auch erstmals der Apoyando-Anschlag, den Sor nicht benutzte. Beim Apoyando (oder auch „Anlegen") spielt der Anschlagsfinger nicht frei in die Luft, sondern legt sich auf die nächst tiefere Saite und bleibt dort so lange liegen, wie der Notenwert es vorgibt. Er wird häufig beim einstimmigen Melodiespiel verwendet, als erstes gelernt und in Verbindung mit dem "Wechselschlag" verwendet, den Tárrega auch lehrte.
Sor war eher der Meinung, dass der stärkste Finger – hier ist der Daumen gemeint – am häufigsten benutzt werden sollte. Erst wenn ein Stück mehrstimmig wurde, setzte er die anderen Finger ein, wobei seine Anschlagtechnik zum kleinen Finger hin abnehmend häufig in Erscheinung trat. Den kleinen Finger benötigte er, genauso wie Tárrega, nie, da er zu schwach bzw. zu klein war. Mit dem Ringfinger spielte er nur, wenn keine andere Möglichkeit bestand, denn dieser hatte für ihn, weil er kürzer war, Nachteile. Da er näher am Steg positioniert war, ergab sich ein leicht abweichender Klang, der Widerstand der Saite erhöhte sich, und die Gefahr, die Saite zu reißen war größer. Aus diesem Grund bevorzugte Sor, mit dem Daumen zwei benachbarte Saiten schnell hintereinander anzuschlagen, anstatt den Ringfinger zu verwenden, wenn diese parallel lagen. Im Gegensatz dazu spielte Tárrega hauptsächlich mit dem Daumen die drei oberen Basssaiten und nutzte für die Melodie Zeige-, Mittel- und Ringfinger, je nachdem, wie es am besten zum Fingersatz passte, ohne auf ihre individuellen Schwächen Rücksicht zu nehmen. Schwächen sollten seiner Meinung nach durch Übung überwunden werden. Da seine Finger aufgrund der rechtwinkligen Handhaltung nebeneinander und nicht untereinander lagen, gab es keine Probleme aufgrund der Fingerlänge.
Der signifikanteste Unterschied im Anschlag zwischen Tárrega und Sor bestand jedoch in der Frage, ob mit oder ohne Fingernägel gespielt wurde. Sor war zeitlebens ein überzeugter Fingerkuppenspieler. Die einzige Ausnahme, die er für das Nagelspiel akzeptierte, war die Nachahmung der Oboe auf der Gitarre. Ansonsten empfand er den Klang des Nagelspiels als unerträglich, da er der Meinung war, dass der Ton, der durch den Nagel erzeugt wurde, nicht angemessen gestaltet werden konnte. Für ihn hatte er zu wenig feine Nuancen und klang unvollkommen. Sor sagte dazu: "Die 'pianos' können niemals singend, noch die 'fortes' genügend voll sein." Oft spielte man jedoch aus hygienischen Gründen ohne Nägel, da spröde Nägel das Spielen erschwerten und sich Dreck darunter ansammelte, wenn sie nicht ausreichend gepflegt wurden.
Tárrega hingegen experimentierte eine Weile mit Fingernägeln, entschied sich jedoch etwa neun Jahre vor seinem Tod dafür, mit den Fingerkuppen zu spielen. Er gab keine explizite Begründung für das wechseln zum Kuppenspiel an, aber wenn man sich seine Tremolo-Etüde "Recuerdos de la Alhambra" ansieht, wird klar, dass er dies ohne Fingernägel grandios gelöst hat.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der Klang der Fingerkuppe um ein Vielfaches schöner und "breiter" ist. Somit kann ich die Kritikpunkte von Sor nachvollziehen. Einige großartige Kuppenspieler, wie zum Beispiel Emilio Pujol, haben bewiesen, dass auch die schwierigsten Abläufe in der Gitarrenmusik ohne Nägel bewältigt werden können.
Nagelspieler würden wie folgt argumentieren: Die Verwendung von Fingernägeln ermöglicht eine beeindruckende Schnelligkeit im Tremolieren, die mit den bloßen Fingerkuppen schwer zu erreichen ist. Durch das gezielte Ansetzen der Nägel an der Spitze entsteht ein rascher, klarer Klang, im Gegensatz zu den Fingerkuppen, die erst zwischen die Saiten gelangen müssen und über ihre gesamte Breite an der Saite vorbeigleiten. Dieser Prozess mit den Fingerkuppen neigt dazu, den Ton vorab zu dämpfen, was zu einem abgehackten Klang führen kann.
Die heutigen Gitarren erfordern weitgehend das Spiel mit Nägeln, da dies dem Ton die notwendige Spritzigkeit und Stärke verleiht, um einen klaren und durchdringenden Klang zu erzeugen und zu verhindern, dass er dumpf wirkt. Die Argumentation lautet, dass das Spielen klassischer Musik auf modernen Gitarren ohne Nagelspiel das Klangideal der Klassiker weiter entfremden würde. Daher macht es heutzutage keinen Sinn, klassische Stücke mit den Fingerkuppen zu spielen, da dies die Authentizität der Musik beeinträchtigen würde.

Die Technik der linken Hand:
In der Spielweise der linken Hand sind sich Sor und Tárrega relativ einig. Sor perfektionierte seine Technik durch logische Überlegungen so weit, dass es für Tárrega wenig zu verbessern gab, und auf Sors Technik fundierend brauchte er nichts hinzuzufügen. Damals hielten die meisten Gitarrenspieler das Griffbrett in einem Winkel zwischen Daumen und Zeigefinger. Doch Sor sah viele Nachteile in dieser Haltung, die er nicht akzeptieren konnte. Die Hälfte der Hand befand sich hinter dem Griffbrett, was es schwierig machte, eine der äußeren Saiten zu greifen, ohne den gesamten Unterarm zu bewegen. Außerdem neigten die Finger dazu, aufgrund ihrer schrägen Haltung die darunter liegende Saite zu berühren und sie zu dämpfen. Zudem erforderte das Abdrücken der Saite mehr Kraft.
Daher wies Sor dem Daumen der linken Hand eine weit bessere Aufgabe zu, als nur von oben einen Basston zu greifen. Er setzte ihn etwa in der Mitte des Griffbretts gegenüber dem Mittelfinger auf, sodass die ganze Hand nach vorne rückte und mehr Bewegungsfreiheit erhielt. Die Finger konnten nun senkrecht auf die Saiten zugreifen, ohne die Nachteile der vorherigen Haltung zu erleben. Das hatte zur Folge, dass die darunter liegende Saite nicht mehr abgedämpft wurde, weniger Kraft benötigt wurde und die oberste sowie die unterste Saite mit etwas Übung ohne Verrenkungen erreicht werden konnten. Sor verbesserte somit die gesamte Spieltechnik in Richtung einer gesunden Körperhaltung. Da die linke Hand nun ausreichend Bewegungsfreiheit hatte, konnte auch schneller die Lage gewechselt werden. Dies tat er besonders dann, wenn es darum ging, den Ton länger zu halten. Denn ein Ton auf einer tiefen Saite schwingt aus physikalischen Gründen kürzer als der gleiche Ton auf einer höheren Saite. Deshalb bevorzugte er das Melodiespiel auf den obersten beiden Diskantsaiten.

Der musikalische Vergleich:
Der technische Vergleich ist Voraussetzung für den musikalischen, denn 90% der Musik bestehen aus Technik. Deshalb hielt ich es auch für sinnvoll, den Schwerpunkt auf die Technik zu legen. Nachdem ich diesen Vergleich gezogen habe, kann ich nun zum Musikstil übergehen.
Sor, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte, war ein „echter Klassiker". Seine Werke sind nicht von der Volksmusik geprägt, sondern stehen unter dem Einfluss der Meister seiner Zeit wie Haydn, Mozart und Beethoven, ohne dabei seinen eigenen Stil zu verlieren. Er hatte eine Vorliebe für Kontrapunkt und Polyphonie. Seine solide und oft imitative Stimmführung zeigt sich in seinen zahlreichen Stücken. Doch gibt er selbst zu: „Ich machte - in Wahrheit mit sehr wenig Überlegung - ein paar Stücke, die mir jedoch den Weg bereiteten, dem zu folgen, was mich durch die Umstände gezwungen hat.
Mit einfachen Mitteln und Techniken konnte er eine flüssige musikalische Linie führen. „Bei ihm ist auch die kleinste Miniatur ein Kunstwerk.“ Seine idiomatische Musik besitzt meist einen anmutigen Charakter, ist zurückhaltend und lyrisch. Oft benutzte er Nebendominanten und eine diatonische Harmonie. In seinen Stücken finden sich einige Floskeln, die in der damaligen Harmonielehre als Ende oder Übergang galten (Van Hoek und Buek).
Tárrega dagegen lebte gegen Ende des 19. Jahrhunderts und gilt als Romantiker. Schon deswegen entwickelte er einen anderen Stil als Sor. Er wurde lange von Chopin beeinflusst und transkribierte zahlreiche Stücke von Bach, Beethoven, Mozart, Haydn und Schumann. Auch er kreierte viele gefühlvolle Stücke. Ihm kam es vor allem auf den schönen Klang an. Dafür ließ er meist alle Bequemlichkeiten weg, spielte in gestreckten Lagen und opferte viele Töne, damit der Klang eines Tones seinen Wünschen entsprach. Oft beschrieb er Gefühle in seinen Stücken und gab ihnen dazu einen passenden Namen, wie etwa die Hörbeispiele „Lágrima" (=Träne) und „Oremus". Das zweite Stück komponierte Tárrega 15 Tage vor seinem Tod, und es bedeutet „lasset uns beten". Hier drückte er vielleicht seine Angst vor dem Tod aus und fand Halt durch sein „Gebet auf der Gitarre".
Doch beide Musiker brachten in ihren Kompositionen keine tonartfremde Harmonie ein und schrieben ihre Werke meist mehrstimmig. Jeder hatte seine Eigenarten, die jeweils typisch für ihre Zeit und ihr Land waren. Berühmte Gitarristen wie Miguel Llobet, Emilio Pujol und auch Andrés Segovia standen und stehen unter Tárregas Einfluss und verbreiten seine Musik weiter. Sors Musik wurde besonders durch Napoleon Coste aufgenommen und weiter verbreitet.
Was die Schwierigkeit dieser beiden Virtuosen angeht, gibt es eine große Bandbreite verschiedener Schwierigkeitsstufen. Für Schüler gibt es einige leichte Stücke, die schon nach den ersten Stunden gut gespielt werden können. Tárrega beobachtete zum Beispiel seine Schüler beim Unterricht und gab jedem individuelle Übungen, die die Fehler beheben sollten. Es gibt viele Etüden von ihm zur Einübung und zum Studieren spezieller Techniken, die bei ganz einfachen anfangen und bis zu den schwierigsten Techniken reichen, die selbst ein geübter Gitarrist nur mit viel Anstrengung spielen kann.
Sein eigenes Spiel war sehr anspruchsvoll: „In seinen Händen [...] weint und lacht die Gitarre." Auch Sors Spiel war sehr anspruchsvoll und erforderte viel Übung. Ohne Kenntnis seiner Regeln und Gesetze konnten seine Werke kaum richtig gespielt und interpretiert werden.
Selbst den Gitarristen seiner Zeit erschien Sors Musik zu anspruchsvoll, sodass seine Gitarrenmusik kaum gespielt wurde. Um ausreichend Geld zu verdienen, musste er deshalb leichte Stücke schreiben, bei denen er demonstrativ leere Saiten benutzte und den genauen Fingersatz bezifferte.
Ansonsten komponierten beide Musiker sehr schwierige technische Passagen in ihrer Musik, die nicht ohne gespreizte Lagen gespielt werden konnten.

Fazit:
Ich finde jedoch, dass es innerhalb dieser renommierten Gitarristen bereits viele unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie die Gitarre gespielt werden sollte. In grundlegenden Punkten, wie der Tatsache, dass die Gitarre gegenüber Orchesterinstrumenten nicht minderwertig ist, stimmen sie jedoch überein. Man kann jedoch weder sagen, dass der eine Komponist in allen Dingen recht hatte, noch der andere. Daher bleibt es dem Leser selbst überlassen, wem er sich anschließt. Persönlich ziehe ich Tárregas Musik vor, da mir Sors Stil nicht besonders zusagt, aber das ist natürlich Geschmackssache.

Quellen / Literaturverzeichnis:
[1] Buek, Fritz: Die Gitarre und ihre Meister, Robert Lienau/Vormals Schlesinger, Berlin-Lichterfelde, 1926
[2] Grunfeld, Frederic V.: The Art and Time of the Guitar, The Macmillan Company, New York, 1969
[3] Moser, Wolf: Fernando Sor - Versuch einer Autobiographie und gitarristische Schriften, Gitarre und Laute, Köln, 1984
[4] Ragossnig, Konrad: Handbuch der Gitarre und Laute, Schott Verlag, Mainz 1978
[5] Sharpe, A.P.: The Story of the Spanish Guitar — An Illustrated History of Guitars and Guitarists, Cliff Essex Music Co. Ltd., London, 3. Auflage 1963
[6] Van Hoek, Jan-Anton: Die Gitarrenmusik im 19. Jahrhundert— Geschichte, Technik, Interpretation, Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmshaven, 1983